Michael Sikora
Grenzverletzungen. Zur Handhabung unstandesgemäßer Eheschließungen im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit

Unstandesgemäße Eheschließungen verletzten nicht nur den Konsens über die Maßstäbe und Ziele hochadliger Heiratspolitik. Sie bedrohten auch die auf jahrhundertelanges Konnubium gestützte ständische Wertigkeit eines Hauses. Die Widersprüche zwischen ständischem Herkommen und kirchlichem Recht, verschärft durch die Optionen kaiserlicher Standeserhebungen, eröffnete Spielräume, für die zwar standardisierte Lösungen entwickelt wurden, die sich aber dennoch nicht verbindlich regulieren ließen. Insbesondere die Geschichte der Anhalter Fürsten liefert dafür breit gefächerte Beispiele. Sie entfalteten sich im Kontext eines Hauses, in dem aufgrund der Teilung viele Fürsten regieren konnten, denen aber zugleich nur begrenzte ökonomische Potenz zu Gebote stand. Wo es über die Ehen zum Konflikt kam, ging es darum, das Maß der ständischen Differenz neu zu justieren. Das galt insbesondere im Hinblick auf die Sukzessionsfähigkeit der Nachkommen. Der Austrag spielte sich sowohl auf der juristischen Ebene, auf der die gestörte Erwartungssicherheit normativ wieder hergestellt sollte, als auch auf der symbolischen Ebene ab, die in traditioneller Weise Sicherheit durch die Modellierung sozialer Realität herzustellen suchte. Das Ergebnis der Aushandlung war in hohem Maße von der Konstellation abhängig, so dass solche Konflikte im Einzelnen sehr unterschiedlich verlaufen konnten. Aber genau daran, an dem nämlich, was wann möglich war, lassen sich die Regeln der ständischen Gesellschaft im praktischen Vollzug entschlüsseln.
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