1. Gegenstand der
Untersuchung
Die Benediktinerabtei
Saint-Denis bei Paris erfreut sich einer langen Tradition als königliche
Grablege. Sie beginnt bereits im sechsten Jahrhundert, als König Dagobert
V. sich 639 vor seinem Tod in die Abteil bringen und dort bestatten läßt.
Dennoch muß sich die Abtei bezüglich des königlichen Bestattungsprivileg
noch lange gegen hartnäckige Konkurrenz erwehren. Weder unter den Merowingern
(Dagoberts Sohn Chodwig II. ist der letzte in Saint-Denis beigesetzte
Merowinger) noch unter den Karolingern gelingt es dem Kloster, eine dauerhafte
Vorrangstellung zu erwirken. Erst unter den Capetingern gelingt die massive
Festigung der Beziehungen zwischen dem Königshaus und den Benediktinern.
Abt Suger formuliert schließlich das Gewohnheitsrecht der Abtei auf die
Bestattung der französischen Könige, indem er seine Forderungen 1149 mit
einer Fälschung des sog. Karlsprivilegs untermauert: Demnach habe Karl
der Große im Jahre 813 verfügt, daß die fränkischen Könige fortan in Saint-Denis
beizusetzen wären. Symbiotisch profitieren fortan beide Parteien von der
engen Bindung: Die Abtei stärkt nicht nur ihren geistlichen Einfluß und
emanzipiert sich von der Bischofskirche in Paris, sondern kann dank zahlreicher
Privilegien ihren politischen und wirtschaftlichen Einflußbereich entscheidend
erweitern. Im Gegenzug verdankt ihr das Königshaus die klerikale Legitimation
der Herrschaft, die in der Folge über breit angelegte Bildprogramme objektiviert
wird. In den Jahren 1263/64 kommt es folgerichtig zu den ersten monumentalen
systematischen Grabmals-Ensemble, das sich in der Folge stetiger Erweiterung
ausgesetzt sieht. Karl V. etwa beordert Jean de Liège und den Hennegauer
André Beauneveu nach Paris. Letzterer zeichnet für die Grabmäler von Karls
Vater Johannes des Guten und seinem Großvater Philipp VI. verantwortlich,
ebenso für das noch zu Lebzeiten entstandene Grabmal des Auftraggebers
selbst. Der typisierte herrschaftliche Gestus weicht nun portraithaften
Zügen, Karl wird als erstes Grabbildnis "al vif" konterfeit. Dennoch werden
die Neuerungen mit gezieltem stilistischem Rückgriff auf das Vorhandene
abgesichert. Mit Karl V. beginnt auch die Auslagerung der Gräber in Kapellen,
der auch die Valois und Bourbonen folgen. Bis zur französischen Revolution
setzt sich die Tradition der königlichen Grablege nahezu ungebrochen fort,
bis die Abtei 1793 für den Kult geschlossen wird. Gleichzeitige Bestrebungen
versuchen, die Grablege zu einem Museum umfunktionieren. 1847-1867 findet
die Rekonstruktion der Kirche unter Eugène Viollet-le-Duc und Baron Francois
de Guillermy statt, aus der einige Rekonstruktionsvorschläge zerstörter
Monumente hervorgehen.
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3. Forschungsstand
Saint-Denis ist bevorzugt
Gegenstand architekturhistorischer Forschung. Das liegt einerseits daran,
daß man den unter Abt Suger in den 1140er Jahren erbauten Ostchor als
Gründungsbau der Gotik verhandelt, andererseits an der engen Bindung der
Abtei an das fränkische Königshaus. Die Ausstattung, die zu großen Teilen
der Visualisierung und Legitimierung eben dieser Liaison verstanden werden
darf, rückt, abgesehen von Alain Erlande-Brandenburgs Katalog "Le roi
est mort", dagegen erst in jüngerer Vergangenheit in den Fokus der Forschung.
Andrea Teuscher liefert 1994 eine Rekonstruktion der ehemaligen Aufstellung
des ersten großen Grabensembles von 1263/64 und deren kurz darauf erfolgten
ersten Umgestaltung, die sie im Hinblick auf die jeweiligen zeitgenössischen
politischen Interessen untersucht. Sechzehn stilistisch weitestgehend
einheitliche Tumben mit Gisants werden unter Ludwig IX. und Abt Mathieu
de Vendôme in Auftrag gegeben. Versucht deren erste Anordnung in erster
Linie eine genealogische Kontinuität der königlichen Dynastien der Merowinger
und Karolinger zu suggerieren, als deren legitime Nachfolger sich nun
die Capetinger verstanden wissen möchten, folgt die baldige Neuordnung
der Gräber unter Philipp IV. der Logik der gelungenen Heiligsprechung
des Initiator des ersten Ensembles, Ludwigs IX. Mario Kramp (1995) untersucht
die Geschichte der Liaison zwischen den fränkischen Königsdynastien und
der Abtei besonders unter historischem Interesse. Neben der funktionalen
Indienstnahme der verschiedenen Bildmedien analysiert er auch die Einbettung
verschiedener Gedächtniskulte und Gedenkfeiern in die Liturgie. Eine besondere
legitimatorische Funktion innerhalb der Geltungsansprüche der Abtei kommt
hierbei der Verehrung Dagoberts I. als legendärem Gründer von Saint-Denis,
wie auch derjenigen des Patroziniumsheiligen Dionysius, der (als Personalunion
dreier historischer Figuren) für die apostolische Herkunft der Abtei einsteht.
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4. Probleme
Weitere im Kontext
des Forschungsstandes zu erwähnende Arbeiten leiten sogleich das Kapitel
"Probleme" ein. Stephan Albrecht (2003) untersucht die gesamte mittelalterliche
Ausstattung mit dem methodischen Apparat der Gedächtnisforschung insbesondere
Jan Assmanns. Auch wenn seiner Argumentation die Gräber nur als ein Exempel
unter vielen dienen, kommt er dennoch zu Schlüssen bezüglich der visuellen
Verstetigungsstrategien des Klosters, die den ersten Ergebnisvorstellungen
des eigenen Vorhabens entsprechend nahe kommen. Eine weitere in Entstehung
befindliche und daher noch nicht einzusehende Dissertation von Eva Leistenschneider
wird, chronologisch anknüpfend an Teuscher und Erlande-Brandenburg, insbesondere
die Gräber Karls V. und seiner Familie unter gedächtnistheoretischen Gesichtspunkten
verhandeln. Als Reaktion auf diese Neuerscheinungen konnte ich unter Absprache
mit Herrn Klein meinen inhaltlichen Schwerpunkt historisch in die Neuzeit
verlagern, um mögliche Überschneidungen zu vermeiden. Daraus ergibt sich
allerdings das Anschlußproblem, daß zu gegebenem Zeitpunkt meiner Recherche,
die bis dato eher chronologisch orientiert war, Hypothesen bezüglich der
Renaissance- und Barockgräber zwar formuliert werden können, in ihrem
Charakter allerdings noch vage und wenig fundiert bleiben müssen.
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5. Hypothesen und
offene Fragen
Aufbauend auf diese
Materialien werde ich nun versuchen, einen entsprechenden Fragenkatalog
an die Grabbildnisse der Neuzeit zu entwickeln. Das erscheint fruchtbar
besonders in Anbetracht der Tatsache, daß die Memoriatheorie zwar für
die Konjunktur der mediävistischen Grabmalsforschung verantwortlich ist,
entsprechende Untersuchungen für die Neuzeit aber nach wie vor eher die
Ausnahme bilden. In erster Linie ist dieses Mißverhältnis sicherlich aus
der Neigung der Kunstgeschichte, die Paradigmen der Kunstproduktion einer
jeweiligen Epochen auch auf ihre eigene Methodik zu übertragen, zu erklären.
Demnach werden mittelalterliche Bildwerke in erster Linie auf ihren Funktionswert,
neuzeitliche jedoch vorwiegend auf ihre ästhetischen Beschaffenheiten
hin untersucht. Trotz unleugbarer weitestgehender Berechtigung dieser
Maximen führen diese m.E. nicht selten zu Aussparungen. In Saint-Denis
treffen beide künstlerischen Systeme unter derselben Aufgabenstellung
aufeinander. Als Kernfrage stellt sich demnach diejenige nach dem Verhältnis
von Tradition und (stilistischem wie politischem) Bruch. Gerade das Nebeneinander
konkurrierender visueller Konzepte macht den Bruch augenscheinlich, der
dennoch nur über die partielle Wahrung der Tradition funktionieren kann:
Die Liegefiguren sowie die ungebrochene Kontinuität in der Grablegetradition
in Saint-Denis rekurrieren auf das Vergangene. Im einzelnen wäre in diesem
Kontext zu untersuchen, inwieweit neben der neuen Ästhetik auch ein neues
Herrschaftsideal nach Frankreich importiert wird, namentlich dasjenige
Machiavellis, der anstelle des Herrschaftsverständnisses des Mittelalters
die Eigeninitiative des Einzelnen als höchstes Ideal postuliert: Der Herrscher
darf sich fortan aus seiner individuellen Biografie heraus verstehen,
seine Attribute sind Entschlossenheit, Großmut, Gerechtigkeit und Klugheit,
die sogar zu Vernachlässigung von Moral und Kirche führen kann. Der ästhetische
Gestus der Grabmäler wird offenkundig unbescheidener - aus der Reihung,
die den einzelnen mittelalterlichen König seinem Geschlecht und dem gottgegebenem
Herrschaftsideal subordiniert, wird nun die individuelle Inszenierung.
Das Herrscherportrait bleibt auch in der Darstellung von Kleidung und
Alter konsequent, Charakter und Biografie werden über attributierende
Personifikationen und Schlachtenreliefs unmittelbar anschaulich. Über
die Reihe normativer Wertvorstellungen hinaus generieren sich zusätzlich
neue Medien und mit ihnen eine gänzlich neue Disposition von Öffentlichkeit,
die bezüglich der Repräsentation und Verstetigung von Herrschaft weitere
Fragen aufwerfen. So ließe sich vermuten, das spätestens im Barock die
visuellen Legitimierungsstrategien der Herrschaft sich gewandelt haben
und andere Medien diese Aufgabe weit erfolgreicher tragen als das Grabbild.
Kaum anders ist zu erklären, weshalb die sonst dem Prunk so verpflichteten
Bourbonen trotz verschiedener Planungen schließlich weitestgehend auf
repräsentative Grabmäler verzichten konnten.
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Literatur:
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