"Mangelnder Respekt ?
Zur Bedeutung zunehmender Verschriftlichung in römischen
Institutionen."
Das im folgenden skizzierte Dissertationsprojekt
soll der Bedeutung des Verschriftlichungsprozesses in den römischen
Institutionen der Republik nachgehen. Der Schwerpunkt liegt bei den Gesetzen.
Eine genauere Festlegung wird in den nächsten Wochen erfolgen.
Momentan werden drei Bereiche überprüft: Zunächst
werden allgemeinere Punkte des Phänomens geklärt. Welche Bereiche
sind von der Verschriftlichung betroffen (politisch, religiös, sozial,
ethisch oder auch Stadt Rom, Italien und Provinzen) ? In welchem Umfang
vergrößert sich die Gesetzesmenge, soweit die Quellenlage dies
erkennen läßt ?
Welche Teile der Bürgerschaft sind in diesem Prozeß
beteiligt, d.h. in welchem Umfang sind sie Akteure oder Betroffene ? Auch
die Rolle der homines novi ist zu berücksichtigen. Wie verhielten
sie sich in diesem Prozeß ? Waren sie federführend, standen
sie ihm passiv gegenüber oder bezogen sie gegen ihn Stellung ? In
diesen Bereich gehört ferner eine Untersuchung, wie weit das römische
Staatswesen mit seinen wenigen Magistraten, der hohen Bedeutung des „Beratungsgremiums“
Senat und dem scheinbar straffen Klientelwesen die Verschriftlichung förderte
oder behinderte. Gab es ferner Phasen, in denen der beschriebene Prozeß
beschleunigt oder verlangsamt wurde ?
Der zweite Bereich beinhaltet die Ursachen dieser Entwicklung.
Hier ist v.a. die erfolgreiche Expansion der Republik in den Blick zu nehmen.
Die meisten der folgenden Gründe leiten sich m.E. aus ihr ab.
Seit dem 2. Jh. kommt es nicht nur zu einer allmählichen
Ausdifferenzierung in der römischen Verwaltung, sondern auch zur Erschließung
neuer Felder der Gesetzgebung durch die Popularen. Die Ursache der verstärkten
Verschriftlichung wäre demnach eine Aufgabenvermehrung. Dagegen weisen
die eindringlichen Beschwörungen des mos maiorum bei Cicero m.E. in
eine andere Richtung. Das Nachlassen personaler Autorität ist eine
besonders beachtenswerte Ursache. Benötigten die Römer autoritative
Texte zum Nachschlagen ? Die allgemeine These muß näher ausgeführt
werden, denn auch der Schwund an Autoritätspersonen bezüglich
oraler Tradition hat ihrerseits Ursachen.
Zum einen sind die Lockerung der Klientelbeziehungen
durch jahrelange, entfernte Kriege und die daraus resultierenden Umwälzungen
in der Gesellschaft zu berücksichtigen, andererseits gilt dasselbe
für die Hellenisierung der Führungsschicht seit den engen Kontakten
der Römer mit der Magna Graecia und Griechenland im dritten und zweiten
Jahrhundert. Durch den Einfluß der griechisch-hellenistischen Kultur
könnten sich Vorstellungen über Gesetze und Psephismata nach
Rom ausgebreitet haben. Auch sollten Einflüsse aus der Philosophie
beachtet werden (kritische Reflexion). Sie könnte in weit stärkerem
Maße dazu führen, daß nicht nur von Auswärtigen wie
Polybios das römische Staatswesen untersucht wurde, sondern auch von
Römern. Wenn dann – wie in einer starken oralen Tradition zu erwarten
– Widersprüche auftauchten, könnte die Antwort eine Regulierung
per Gesetz gewesen sein.
Im dritten Teil ist auf die Konsequenzen des Prozesses
einzugehen. Es ergeben sich Veränderungen für die verbale Autorität:
Regelungen sind nun theoretisch für jeden nachprüfbar. Das tradierte
Wissen kann sich in breiteren Schichten verwurzeln und ist nicht mehr auf
die Priesterschaften respektive die Führungsschicht beschränkt.
Hier ist dann auch zu fragen, ob sich in einer bestimmten Situation ein
solch ausgeweitetes Wissen erkennen läßt oder ob man sich immer
stärker auf Gesetze berief, deren Inhalt kontrolliert werden mußte.
Der neue, fixierte Text kann nie alles exakt fassen.
Es bleibt immer ein Spielraum, der durch Interpretation ausgefüllt
werden kann oder muß. In dieser Konsequenz muß die Entwicklung
der Rhetorik betrachtet werden. Sind Auswirkungen erkennbar ? Sie dürfte
an Bedeutung gewinnen, da sie nun zur Interpretation der Gesetzte herangezogen
werden kann und überzeugen muß. Selbst wenn dies in dem eher
kleinen Führungszirkel des Senates nicht so gewichtig war, denn hier
läßt sich m.E. bis in das erste Jahrhundert hinein belegen,
wie zentral personale Autorität auf der Basis der höchsten Staatsämter
im Senat wirkte, so blieb die Aufgabe, auch das Volk von einer bestimmten
Lesart zu überzeugen.
Abschließend ist zu untersuchen, inwieweit dieser
Prozeß Einfluß auf die politische Entscheidungsfindung hatte.
Erst mit ihr ist die Bedeutung des Phänomens bewertbar. Gab es Mittel
für die Senatoren, um mißliebige Gesetze nicht ausführen
zu müssen ? Lassen sich Veränderungen der politischen Symbolik
erkennen ? Begrenzen sich durch normierte Verfahren die Spielräume
für Senatoren ? Wie steht die Autorität der Magistrate zu dieser
Entwicklung ?